Heute bringen wir Euch einen tollen Gastbeitrag von Sophia Friedrich. Sie ist Medizinstudentin und berichtet in diesem Beitrag über die Initiative “Medical Students for Choice”.
Pro Jahr werden in Deutschland ungefähr 100.000 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt. 97% davon nach der gesetzlichen Beratungsregelung, bei der sich die schwangere Person aktiv für einen Abbruch entscheidet. Trotz dieser hohen Zahl werden in Deutschland die Hürden für einen sicheren Schwangerschaftsabbruch immer größer. Immer weniger Praxen und Kliniken bieten Eingriffe zum Beenden einer ungewollten Schwangerschaft an. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Unter anderem fehlt vielen Mediziner*innen der Zugang zu diesem emotionalisierten Thema. Trotz seines hohen Stellenwertes im Leben vieler Frauen* und der großen Lücken in der medizinischen Versorgung spielt der Schwangerschaftsabbruch im Medizinstudium eine kleine oder sehr untergeordnete Rolle. Lediglich die medizinischen Gründe und die rechtliche Lage werden erläutert. Ethische Fragen, der Umgang mit Hilfe- und Ratsuchenden und besonders die verschiedenen Möglichkeiten der praktischen Durchführung werden oft nur angeschnitten und finden selten ausreichend Platz.
„Medical Students for Choice“ (deutsch: Medizinstudierende für Wahlfreiheit) entstand, um zukünftige Ärztinnen und Ärzte über den Umgang mit Schwangerschaftsabbrüchen aufzuklären und so die medizinische Versorgung für die Zukunft zu sichern. Gegründet wurde die Organisation 1993 in den Vereinigten Staaten und hat heute aktive Gruppen an Hochschulen weltweit mit insgesamt ungefähr 10.000 Mitgliedern. 2015 wurde der erste deutsche Ableger an der Berliner Charité gegründet. Mittlerweile gibt es an vielen weiteren Universitäten in Deutschland verwandte Gruppen von Medizinstudierenden, die sich beim Thema Schwangerschaftsabbrüche für einen offeneren, wissenschaftlichen und wertfreien Umgang im Medizinstudium aber auch der Gesellschaft einsetzen und arbeiten. Im Laufe der Jahre und durch das ständige Wachstum des Netzwerkes wurde der ursprüngliche Zweck konkretisiert und je nach Gruppe um weitere feministische, gesellschaftspolitische und ethische Fragestellungen und Ziele erweitert. Gefordert wird unter anderem die Verankerung des Themas Schwangerschaftsabbruchs mit allen zugehörigen Aspekten und Lernmethoden in den Lehrplan der medizinischen Universitäten. Außerdem die Entwicklung und der Zugang zu passenden Fortbildungen für Ärzt*innen, eingehendere Forschung zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen, flächendeckende medizinische Versorgung für betroffene Frauen*, Enttabuisierung und Entstigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und Personen, die sie durchführen und durchführen lassen.
Um diese Ziele zu erreichen, suchen Medical Students for Choice die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und anderer Medizinstudierender. Regelmäßig finden Informationsveranstaltungen an Universitäten oder im Rahmen größerer Ereignisse wie dem Weltfrauentag statt. Diese Veranstaltungen sollen eine Sensibilität für das Thema Schwangerschaftsabbruch schaffen, in gewissem Maße auch Aufklärung betreiben und Diskussionsbereitschaft anregen. Durch die Strukturierung in lokale Gruppen können die Mitglieder von Medical Students for Choice direkt an ihrer Hochschule mit Verantwortlichen der Lehre in Kontakt treten, um Änderungen in der medizinischen Ausbildung zu erwirken und direkt ihre Mitstudierenden ansprechen, informieren, Anregungen annehmen und Unterstützer*innen gewinnen.
Da es sich bei Schwangerschaftsabbrüchen nicht nur um ein gesellschaftliches, politisches und ethisches Thema handelt, sondern eben auch um ein medizinisches, sollte es auch als solches im Studium und der Fachärzt*innenausbildung behandelt werden. Hierzu gehört das Erlernen der notwendigen praktischen Fertigkeiten. Dazu dient der sogenannte „Papaya-Workshop“, der von der Gruppe Medical Students for Choice mit Hilfe einiger Gynäkologinnen regelmäßig für interessierte Medizinstudent*innen angeboten wird. Hier lernt man nach einer theoretischen Einführung anhand einer Papaya als Modell für die Gebärmutter die notwendigen Handgriffe für die Durchführung einer fachgerechten und sicheren Absaugung. Dabei stehen die medizinischen Aspekte im Vordergrund und die Absaugung soll wie jeder andere medizinische Eingriff sachlich und neutral behandelt werden.
Bei der Organisation Medical Students for Choice handelt es sich um ein Netzwerk für Selbstbestimmung über den eigenen Körper, die eigene sexuelle und reproduktive Gesundheit im Einklang mit persönlichen und kulturellen Werten. Keine Person sollte zu dem ungewollten Austragen oder auch einem ungewollten Abbruch einer Schwangerschaft gezwungen werden, sondern diese Entscheidung voll umfassend selbst treffen dürfen und können. Zu dieser Entscheidung gehören persönlichen Fragen aber auch praktische beispielweise der Transport zu einer passenden Arztpraxis oder woher man wichtige Informationen beziehen kann. Dafür benötigt es eine lückenlose Aufklärung und Beratung in einem wertfreien und geschützten Rahmen von geschultem Personal und eine flächendeckende medizinische Versorgung. Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland unter bestimmten Umständen zwar straffrei aber trotzdem noch illegal, Ärzt*innen werden für die Betreuung im Rahmen eines Schwangerschaftsabbruches angefeindet und verklagt, Frauen* müssen neben der generellen Belastung in dieser Situation teilweise hunderte Kilometer Wegstrecke auf sich nehmen, um einen Abbruch vornehmen lassen zu können. All diese Umstände erschweren eine freie Wahl, die jeder Person zusteht.
Die Entscheidung, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen oder nicht, liegt nach umfassender, thematischer Auseinandersetzung und genauer Überlegung auch bei jede*m*r Mediziner*in selbst.
Ich als Medizinstudentin kurz vor meinem Abschluss habe bisher weder im theoretischen noch im praktischen Teil des Studiums tiefergehende Erfahrungen mit Schwangerschaftsabbrüchen gesammelt. An meiner eigenen Unsicherheit und Befangenheit im Bezug darauf merke ich, dass gute Information, Aufklärung und Schulung von Personal essenziell sind, um Frauen*, die vor dieser Wahl stehen, verantwortungsvoll beraten und helfen zu können.