In unserem heutigen Artikel beschäftigen wir uns mit dem Thema der emotionalen Intelligenz und werfen einen Blick auf ihre Stellung in unserer Gesellschaft & unserem Bildungssystem.
Kennt Ihr auch diese Situation: Eine ältere Dame steht vor Euch an der Kasse und bezahlt nicht nur einfach ihren Einkauf, sondern beginnt eine freundliche Unterhaltung mit der Kassiererin und fragt sie, wie es ihr denn geht und wie Ihr Tag so war. Doch die Schlange hinter ihr wird langsam ungeduldig und man hört Leute darüber diskutieren, dass sie heute auch noch etwas anderes vorhätten und die Dame keine Romane erzählen soll. Dies ist ein Beispiel für eine Situation, wie sie in ganz verschiedenen Formen in unserem Alltag vorkommt. Es fehlt die Bereitschaft sich mit Hilfe von Empathie in die ältere Dame hineinzuversetzen und zu erkennen, dass bestimmte Gründe wie zum Beispiel Einsamkeit und daraus hervortretende Freude über menschlichen Kontakt hinter dem Verhalten der Dame stecken könnten. Ein weiteres Beispiel: In einer deutschen Stadt simuliert ein Fernsehteam für ein Experiment einen Unfall. Dabei wird ein Motorradfahrer angefahren und bleibt regungslos auf dem Boden liegen. Doch dies geschieht nicht unbeobachtet. Fußgänger und Autofahrer passieren die Szene, doch niemand kommt auf die Idee dem Motorradfahrer zu helfen oder zumindest nachzufragen, ob er Hilfe braucht. Erst nach 15 Minuten erkundigt sich ein Autofahrer, ob der Mann denn Hilfe bräuchte. Die Frage bleibt also: Wo sind unsere emotionale Intelligenz und unsere Bereitschaft zur Empathie in diesen Situationen geblieben und können wir diese wieder hervorholen?
Was ist emotionale Intelligenz?
Aber was genau bedeutet überhaupt der Begriff der emotionalen Intelligenz und mit welchen anderen Begriffen steht sie in enger Verbindung? Emotionale Intelligenz kann als eine Art der sozialen Intelligenz betrachtet werden. Soziale Intelligenz bezieht sich dabei auf die Fähigkeit, soziale Probleme in zwischenmenschlichen Beziehungen mit geistigen Mitteln schnell und flexibel zu lösen. So ist eine Person mit hoher sozialer Intelligenz zum Beispiel eher dazu in der Lage, für Stabilität innerhalb einer Gruppe zu sorgen oder auch Konflikte der Gruppe bzw. zwischen Gesellschaftsmitgliedern zu lösen oder sogar zu vermeiden. Des Weiteren befähigt die soziale Intelligenz zu einem guten Umgang mit eigenen sozialen Problemen, also z.B. die Fähigkeit sich zu einigen oder sich durchzusetzen, ohne andere dabei auszunutzen oder zu benachteiligen. Der Begriff der sozialen Intelligenz stammt aus den zwanziger Jahren, in der auch die ersten Intelligenztests durchgeführt wurden. Geprägt wurde der Begriff dabei sehr stark von dem Psychologen Edward Thorndike.
Emotionale Intelligenz ist eng verknüpft mit dieser sozialen Intelligenz, nimmt jedoch spezifischen Bezug auf menschliche Emotionen. Eine sehr interessante und auch in der Wissenschaft anerkannte theoretische Konzeption der Definition von emotionaler Intelligenz stammt von den Psychologen Peter Salovey und John D. Mayer und wurde 1990 veröffentlicht. Emotionale Intelligenz ist laut der beiden Wissenschaftler die Fähigkeit, eigene Gefühle und Gefühle anderer zu erkennen, zu verstehen, zu bewerten und zu regulieren und mit diesem Gefühlswissen zu agieren. In der folgenden Abbildung wird das Modell der Emotionalen Intelligenz dargestellt.
Emotionale Intelligenz teilt sich demzufolge noch einmal in drei unterschiedliche Bereiche: die Bewertung und der Ausdruck von Emotionen, die Regulation von Emotionen und die Nutzung von Emotionen. Dabei wird sowohl die Perspektive des Selbst sowie auch die der Mitmenschen eingenommen.
Das Modell von Salovey und Mayer baut auf der Theorie der multiplen Intelligenzen von Gardner auf, der sieben unterschiedliche Intelligenztypen beschrieb:
- Linguistische Intelligenz
- Räumliche Intelligenz
- Logische mathematische Intelligenz
- Musische Intelligenz
- Körperlich-kinästhetische Intelligenz
- Intrapersonale Intelligenz (Der Umgang mit eigenen Gefühlen)
- Interpersonale Intelligenz (Der Umgang mit Gefühlen anderer)
Diese Liste zeigt uns, dass der allgemeine Intelligenz-Begriff weitaus umfassender ist, als wir ihn in unserem alltäglichen Sprachgebrauch verwenden. Nicht nur die akademische Intelligenz ist also für den Erfolg im Leben und im Beruf eines Menschen von Bedeutung, sondern auch die soziale bzw. emotionale Intelligenz.
Weiterhin wird deutlich, dass ein enger Zusammenhang zwischen dem Begriff der emotionalen Intelligenz und der Empathie besteht. Empathie ist dabei im Speziellen die Bereitschaft sich in andere Personen hineinzuversetzen und ihre Emotionen, ihr Verhalten und ihre Intentionen nachvollziehen zu können. Dabei muss klar zwischen Empathie und Mitgefühl unterschieden werden. Mitgefühl beschreibt eher, im Gegensatz zur Empathie, einen passiven Vorgang, bei dem man sich von einem emotionalen Zustand einer anderen Person bewegen lässt.
Nutzen & Folgen von emotionaler Intelligenz
Doch was genau bringt uns die emotionale Intelligenz und warum sollten wir uns überhaupt intensiver mit diesem Thema auseinandersetzen? Ich denke, wir sind uns alle darüber einig, dass wir uns gegenseitig mit Respekt behandeln sollten und dass wir Menschen soziale Wesen sind, die positiv besetzte soziale Beziehungen brauchen, um uns in unserem Leben glücklich zu fühlen. Denn gesunde Beziehungen haben einen starken positiven Einfluss auf unsere gesamte Gesundheit, sowohl psychisch als auch physisch. So ist es doch zunächst eine logische Schlussfolgerung, dass wir eine gewisse emotionale Intelligenz kultivieren müssen, um solche Beziehung in unser Leben zu bringen oder zu halten.
Des Weiteren kann die Förderung von emotionaler Intelligenz zu mehr Empathievermögen führen. In all unseren zwischenmenschlichen Beziehungen, ob im Privatleben oder im Beruf, ist das Thema der Empathie präsent und ermöglicht uns ein harmonisches Zusammenleben sowie Erfolg im Berufsleben, z.B. durch eine erhöhte Bereitschaft zur Kooperation in der Arbeit im Team. Die Verbindung von emotionaler Intelligenz und Empathie ist dabei sehr wichtig, da emotionale Intelligenz natürlich auch entgegen dessen in einer manipulativen Weise benutzt werden kann, wenn eine Person großes Wissen über die Emotionen anderer besitzt und dabei auch seine eigenen Gefühle beherrschen kann. Der Aspekt der Empathie ist hier also ein notwendiger Aspekt, um emotionale Intelligenz in einer positiven Weise zu verwenden.
Außerdem ist emotionale Intelligenz ein wichtiger Faktor für die interkulturelle Kommunikation. Wir leben in einer globalisierten Welt und sind täglich mit anderen Kulturen und Perspektiven auseinandergesetzt. Emotionale Intelligenz verleiht uns die Fähigkeit, unsere Verantwortung wahrnehmen zu können, auch Werte und Vorstellungen anderer Kulturen zu respektieren und besser nachzuvollziehen.
Und wer hätte es gedacht, auch dieses Thema ist natürlich nicht losgelöst von der Digitalisierung und der Welt des Internets. Neben den nicht zu leugnenden Vorteilen gibt es vor allem in dem respektvollen Umgang mit unseren Mitmenschen sichtbare negative Veränderungen. Ein Beispiel ist Hate Speech in sozialen Netzwerken. Dabei werden einzelne oder mehrere Personen als Adressat auszudrückenden Hasses benutzt. Die Empfänger dieses Hasses haben dabei meist keine Wirkmacht und sind für den Hassredner eine von empathischen Empfindungen losgelöste Projektionsfläche. Das Erkennen und Bewerten der Gefühle anderer ist entweder nicht vorhanden oder wird in einer manipulativen Art und Weise verwendet, um andere zu verletzen. Dabei wird die betroffene Person oft als Sache und nicht als echter Mensch mit Gefühlen gesehen. Dies zeigt eine sehr egozentrische Perspektive, die durch eine Stärkung der emotionalen Intelligenz bzw. einer nicht manipulativen empathischen Anwendung dieser, verbessert werden könnte.
Verantwortung des Bildungssystems?
Die Frage ist natürlich nun auch, ob dies nur in unserer eigenen Verantwortung liegt oder ob auch Institutionen eine gewisse Verantwortung tragen, zu der Entwicklung emotionaler Intelligenz und Empathievermögen in unserer Gesellschaft beizutragen. Denn ein wesentliches Argument, vor allem in der Schulzeit, die Wichtigkeit dieser Themen zu betonen, ist, dass sich Kinder in diesem Alter in einem prägenden Entwicklungsstadium befinden, indem auch Erreichbarkeit und Lernbereitschaft noch weitaus mehr gegeben sind als im Erwachsenenalter. In Studien wurde gezeigt, dass eine ausgeprägte emotionale Kompetenz und eine gute emotionale Selbstregulation bei Kindern gesundheitsfördernd und als Prophylaxe gegen Aggression und Suchtverhalten wirken kann. Des Weiteren zeigt sich, dass damit auch eine höhere Lernmotivation einhergeht und die Kinder leichter positive soziale Beziehungen aufbauen. Außerdem nehmen auch Personen im Umfeld des Kindes durch ihren eigenen Umgang mit Gefühlen und den Gefühlen des Kindes Einfluss auf die Entwicklung der emotionalen Kompetenz. Daher sollte auch die Ausbildung der emotionalen Kompetenz von Bildungspersonal in den Blick genommen werden.
Doch natürlich kommen diese Überlegungen nicht ohne gewisse Probleme daher: Wie sieht ein solches Bildungsprogramm aus? Wie muss Schulpersonal weitergebildet werden, um diese Aufgabe überhaupt übernehmen zu können? Trotzdem kann nicht geleugnet werden, dass die Schulzeit einen großen Einfluss auf die Entwicklung eines Kindes nimmt und somit zumindest Überlegungen dazu angestellt werden sollten, wie eine verstärkte Förderung emotionaler Kompetenz eingebunden werden könnte.
Fazit
Als Fazit möchte ich nur so viel mit auf den Weg geben 😊: Wenn wir uns mehr als eine Gemeinschaft betrachten, in der nicht nur der eigene Wohlstand und der eigene Erfolg von Wichtigkeit sind, sondern auch unsere Mitmenschen, wenn wir ein Miteinander anstreben und kein bloßes Konkurrenz-Denken, vielleicht können wir dann auch unseren gesellschaftlichen Problemen mit größerer Positivität und Hoffnung entgegentreten. Doch dafür wird ein gewisses Maß an emotionaler Intelligenz und Bereitschaft zur Empathie aller wohl unumgänglich sein. Selbstverständlich gehört zur Lösung globaler gesellschaftlicher Probleme noch weitaus mehr, aber wäre dies nicht ein Punkt, bei dem jeder Einzelne von uns ansetzen und etwas bewirken könnte?
Was ist Eure Meinung zu diesem Thema? Habt Ihr Euch auch schon einmal Gedanken über diesen Bereich der Intelligenz gemacht oder war das ein völlig neuer Aspekt für Euch? Lasst uns gerne ein Kommentar da und teilt Eure Meinung mit uns.
Für die Lesebegeisterten:
Findet Ihr das Thema interessant und wollt Euch weiter damit auseinandersetzen? Dann findet Ihr im Folgenden eine Liste der verwendeten Quellen, die Euch weitere interessante Einblicke in die Welt der emotionalen Intelligenz geben. Viel Spaß beim Stöbern 😊!
- Michael Pauen (2019): Macht und soziale Intelligenz: Warum moderne Gesellschaften zu scheitern drohen
- Milena Valeva (2019): Emotionale Intelligenz: Retrospektiven | Momentaufnahmen | Ausblicke
- Franz Petermann, Silvia Wiedebusch (2016): Emotionale Kompetenz bei Kindern
- Julie Klinkhammer, Maria von Salisch (2015): Emotionale Kompetenz bei Kindern und Jugendlichen: Entwicklung und Folgen
- Daniel Goleman (2017): Soziale Intelligenz: Wer auf andere zugehen kann, hat mehr vom Leben
- Julian Bollerhoff (2020): Emotionale Intelligenz und ihre komplexe Beziehung zum Narzissmus
- Racha Nassar (2012): Entwicklung eines Beratungsprogramms zur Förderung der emotionalen Intelligenz im Kindergarten
- Eva K. Zautra, Alex J. Zautra, Carmen Ecija Gallardo, Lilian Velasco (2015): Can We Learn to Treat One Another Better? A Test of a Social Intelligence Curriculum
- Karin Schiefer (2013): Unterschiede und Gemeinsamkeiten der kognitiven und emotionalen Facetten der Empathie in Hinblick auf soziale und emotionale Intelligenz, emotionsbezogene Kompetenzen, sowie emotionale Ansteckung
Einen schönen Tag wünschen Euch
Michelle und das Team des Frauennotrufs Trier